Phnom Penh, KHM – Erinnerungsfetzen

Es ist mittlerweile so viel passiert – ich war ein klein wenig abgelenkt die letzten Tage – dass ich mich an die Tage in PP kaum noch erinnern kann. Mal sehen, ob beim Schreiben die Erinnerungen zurückkommen.


Central-Market – gibt es in jeder kambodschanischen Stadt

In der Zwischenzeit ist die Geschichte des Landes wieder in den Hintergrund gerückt – es wird einfach alles „normal“ mit der Zeit – doch ich weiss, dass die Tage in PP stark geprägt waren davon und deren Auswirkungen. So muss ich bestimmt riesige Kulleraugen bekommen haben, als mir eines Abends in einer Nebenstrasse ein Porsche, ein Mercedes und ein Range Rover (mehr oder weniger hintereinander) entgegengefahren sind – später hat mir ein anderer Tourist erzählt, dass er sogar einem Rolls Royce begegnet ist. Nicht unbedingt die Automarken, die man hier erwarten würde. Wie so oft findet man neben der erbärmlichsten Armut auch den unverschämtesten Reichtum. Aufgrund der Strasse habe ich beschlossen, dass die Eigentümer dieser Autos wohl die Zuhälter der dort beschäftigten Damen waren.?  Möglicherweise waren es auch deren Kunden. Ich habe die Sache nicht weiter verfolgt.

Konnte ich mich in Indien problemlos von der Armut und dem Leid distanzieren, fällt mir das in Kambodscha viel schwerer. Zwar fühle ich mich weder diesem Land noch diesem Volk sonderlich verbunden, dennoch tun sie mir unheimlich leid. Vermutlich hängt das vor allem damit zusammen, dass ich mich in gewisser Weise mitschuldig fühle an diesem Elend. Nicht persönlich – zumindest nicht, dass ich wüsste – doch wird mir immer mehr bewusst, was unsere Lebensweise, unsere Wirtschaft und unsere Politik im Rest der Welt verbockt. Eigentlich weiss ich das ja bereits seit der Kantizeit, als man uns beigebracht hat, wie die 1. Welt die 3. ausnutzt. Doch je mehr man sich damit auseinandersetzt und je mehr man auch wirklich sieht bzw. sehen will, je mehr Zusammenhänge man erkennt, desto mehr wird einem auch klar, wie sehr man selber daran mitbeteiligt ist, auch wenn man es gar nicht will oder bewusst tut. Und nun ärgern wir uns auch noch über die Flüchtlinge, dabei haben wir uns das selber zuzuschreiben. Irgendwann kommt alles auf einem zurück…. Ja, sie werden an unserem Reichtum knabbern, aber den haben wir sowieso gestohlen!

Natürlich versuchen auch die Tuk Tuk-Fahrer hier, einem übers Ohr zu hauen und fordern immer einen zu hohen Preis. In meinem „schuldbegründeten Mitleid“ habe ich daher angefangen, sie auf einen anständigen Preis herunterzuhandeln, um ihnen dann aber letztlich doch den Betrag zu geben, den sie zuerst (bzw. als zweites) gefordert haben – das bringt uns jeweils beide zum Schmunzeln, den Fahrer und mich. Einmal habe ich mich aber doch geärgert. Ich sass an der Flusspromenade als ein Mann ohne Beine in seinem Rollstuhl dahergefahren kam, mir ein Schild unter die Nase gehalten hat, worauf in diversen Sprachen erklärt war, dass er für eine NGO arbeite, dass er nicht betteln, sondern sein Geld ehrlich verdienen wolle und daher Bücher verkaufe. Er hatte sogar deutsche Bücher dabei und eines davon machte einen interessanten Eindruck. Er wollte $15 dafür, was ich selbst für schweizerische Verhältnisse etwas viel fand. Aber was weiss ich schon, wie man in Kambodscha zu deutschen Büchern kommt und es war ja für eine gute Sache. Also habe ich eingeschlagen und das Buch gekauft, um mich kurz darauf zu fragen, wie ich nur auf die Idee kommen konnte, mir ein Buch zu kaufen – Bücher bedeuten Gewicht! Das Buch entpuppte sich als super spannend und ich hatte es in einem Zug durchgelesen. Zwei Tage später hat mich der gleiche Kerl wieder angesprochen und als ich ihm klar zu machen versuchte, dass ich ihm bereits ein Buch abgekauft hatte, meinte er zum Schluss: „Give me $2!“ – so viel zum nicht-Betteln! Ich habe diesen Rollstuhlfahrer danach noch oft gesehen, abgekauft habe ich ihm jedoch nichts mehr. Das Buch habe ich schweren Herzens in PP zurückgelassen. Ungern werfe ich Bücher weg, aber das Gewicht des Gepäcks geht hier über alles.

Ein ungelöstes Rätsel bleibt mir mein Frühstückscafé. Abgesehen von der Bedienung war ich dort praktisch immer das einzige weibliche Wesen. Die Klientel bestand ansonsten aus älteren westlichen Herren, selten in Begleitung einer jungen Kambodschanerin (selbstverständlich sind das auch weibliche Wesen, doch sie waren effektiv selten mit dabei und Touristinnen habe ich dort keine gesehen). Ich habe bis zum Schluss nicht herausgefunden, was dort genau vorging, dass sich diese Gruppe derart gehortet hat. Eine solch einseitige Verteilung der Gäste ist mir an keinem anderen Ort aufgefallen oder anders gesagt, es war wirklich auffallend. In dieser Gegend hatte es praktisch nur Touristen-Lokale, die waren ansonsten aber immer kunterbunt durchmischt, was die Gäste anbelangt. Ich habe mich dort dennoch pudelwohl gefühlt, weil ihr Angebot meinen Wünschen entsprach, die Preise verhältnismässig günstig waren für diese Gegend und wifi super gut war, was in PP eher Seltenheitswert hat. Zudem wurde ich nie angequatscht von den anderen Gästen – schätzungsweise passte ich nicht so ganz in deren Beuteschema, was mir ja nur Recht war.

Natürlich war ich auch hier wieder kreuz und quer in der Stadt unterwegs und wie immer meist zu Fuss. Dabei musste ich so oft schmunzeln über mein Getorkel – was mittlerweile eine ganz andere Bedeutung erlangt hat, doch dazu später bei Siem Reap. Die Strassen und Gehwege sind hier alles andere als eben. Nicht selten haben sie einfach Löcher, oft sind sie aber auch einfach uneben konstruiert. Ich war aber nicht bereit, beim Gehen auf meine Füsse zu schauen, sondern wollte natürlich sehen, was um mich herum so alles zu betrachten ist. Und deshalb bin ich ganz oft „herumgestürchelt“. Ich hätte wohl wissen sollen, dass sich das irgendwann rächt, bis dahin fand ich es einfach nur amüsant.

Vor dem Palast findet sich ein riesiger Platz, der autofrei resp. frei von sämtlichen motorisierten Vehikeln ist (wirklich eine Rarität!) und weil daran die Flusspromenade anschliesst, ist dieser Platz ein Tauben-Paradies. Dort finden sich definitiv mehr Tauben als Menschen, obwohl es auch davon viele hat. Es kommt einem vor wie ein riesiger Picknickplatz. Viele Familien sitzen dort zusammen und ruhen oder essen oder beides. Natürlich hat es auch ganz viele Verkäufer dort, die von Essen über Spielzeug bis zu Touristensouvenirs allen möglichen Ramsch loszuwerden versuchen. Und alle finden es total lustig – für mich nicht nachvollziehbar, was daran so lustig sein soll – wenn die Tauben durch einen Knall aufgeschreckt werden und in einem enormen dunklen Schwarm davonschwirren, um sich 5m weiter wieder niederzulassen. Jedes Mal wenn ich über diesen Platz gegangen bin bzw. gehen musste, habe ich darum gebetet (ja, ernsthaft), dass keine Taube ihre Hinterlassenschaft genau über mir niederlässt! Und sie haben mich erhört – hätte mir grad noch gefehlt, wenn ich deswegen noch öfter hätte waschen müssen!

Mittlerweile bin ich schon ziemlich gut darin, die Menschen aufgrund ihres Akzents einordnen oder zuordnen zu können. Und so war ich nicht sonderlich überrascht, als sich der Chef in einem der Restaurants tatsächlich als Schweizer entpuppt hat. Er war der erste von noch einigen weiteren ausgewanderten Westlern, die ich hier traf. Das war auch das erste Mal seit längerem, dass ich wieder einmal meine Sprache hörte und sprechen konnte. Das Speziellste für mich war aber, dass er mir auch gleich noch einen Job angeboten hat. Da war ich dann doch ziemlich perplex. So ein Angebot hat in meinem Leben gerade gar keinen Platz. Dennoch hat es mich eine Weile beschäftigt. Nicht, dass ich ernsthaft über dieses Angebot nachgedacht hätte, denn ein Leben mit diesem Gehalt wäre auch in Kambodscha nicht wirklich möglich (gewisse Jobs sind offenbar auf der ganzen Welt verschissen bezahlt). Aber es hat mich daran erinnert, dass ich mir von dieser „Reise“ ja auch ein paar Antworten erhoffe. Keine Ahnung, ob mir diese auch einfach so zufliegen werden, doch bezüglich Arbeit war ich schon immer ein Glückskind, wieso also nicht? Zumindest weiss ich jetzt, dass es in Kambodscha sehr einfach ist, ein Arbeitsvisum zu bekommen – scheint, die haben hier keine SVP!?

Auch etwas überraschend war die Erkenntnis, dass viele Tuk Tuk-Fahrer in ihren Tuk Tuks „wohnen“. Geht man zu später Stunde durch die Strassen von Phnom Penh, sieht man in vielen Tuk Tuks Hängematten aufgespannt, in welchen die Fahrer schlafen. Wie sie das genau handhaben (Badezimmer oder fliessend Wasser haben die Tuk Tuks nicht), weiss ich nicht, es wäre mir unangenehm gewesen, einen Fahrer darauf anzusprechen. In Siem Reap ist mir das bis jetzt nicht aufgefallen. Da findet man dafür abends oft Tuk Tuks ohne Moped. Die Kabäuschen werden einfach am Strassenrand abgestellt, vermutungsweise, wenn der Fahrer beschlossen hat, Feierabend zu machen und sich quasi privat mit seinem Moped fortzubewegen.

Entgegen meinem ersten Eindruck hat mir Phnom Penh letztlich sehr gut gefallen. Nach dem hektischen HCMC wirkt die Stadt richtig friedlich. Die nervtötende Huperei ist hier kaum existent, der Verkehr allgemein nicht so überbordend wie in anderen (asiatischen) Städten. Mit der grosszügigen Flusspromenade findet sich ein beinahe erholsamer Ort mit viel Raum und Weite und damit Luft. Selbst die vielen, vielen Bettler sind im Normalfall zurückhaltender und vor allem viel weniger hartnäckig als in Indien. Ein schlichtes Nein genügt meist und sie ziehen weiter. Das Personal im Tourismusbereich erinnert an Ha Noi oder Hue, herzlich, aufmerksam, sehr bemüht und zuvorkommend, nur selten aufdringlich. Selbst die Tuk Tuk-Fahrer reagieren auf ein „Nein Danke“ oft mit einem Lachen und ebenfalls einem Dank. Sie stehen ÜBERALL und jeder quatscht dich an, manch einer versucht, dich in ein Gespräch zu verwickeln, natürlich in der Hoffnung, früher oder später einen Deal herauszuholen. Angenehm überrascht konnte ich aber selbst dabei zur Kenntnis nehmen, dass die Reaktionen auf eine Absage meist normal und anständig waren. Bis anhin gingen meine Erfahrungen eher in eine andere Richtung, hatte man sich auf ein Gespräch eingelassen, war dieses schwierig zu beenden.


Trotz Armut und Schmutz bietet die Stadt sehr viel Schönes. Viele Luxusvillen der französischen Besatzer stehen noch und bieten zusammen mit den neuen Geschäftshäusern (vor allem von Banken) ein imposantes Bild. Mehrere grosszügige Boulevards (ebenfalls Überbleibsel aus der französischen Besatzungszeit) und Parkflächen (wenn auch mit wenig Rasen – sie gestalten sich eher wie die heutige 6ilüti-Wiese) geben Raum und damit Erholung von der manchmal erdrückenden Enge der meisten Strassen. Die diversen Wats beeindrucken mit ihren detaillierten Verzierungen. Phnom Penh soll vor den Khmer Rouge eine blühende, reiche Stadt gewesen sein, eines der wichtigsten Wirtschaftszentren Asiens. Das könnte sie wieder werden. Dem kambodschanischen Volk würde ich das wünschen, mir als Tourist weniger.


  

Was übrigens immer wieder für Aufsehen sorgt, ist einerseits meine ipad-Tastatur. So etwas scheint den meisten Menschen in Asien noch nicht untergekommen zu sein – vermutlich kein gutes Zeichen im Hinblick auf den Fall, sie könnte kaputt gehen. Ich bezweifle, dass ich hier zu einem Ersatz kommen würde! Und andererseits meine Schreiberei. Jeder der Kellner oder Angestellten meines Hotels fragt mich früher oder später, was ich denn da ständig schreiben würde, ob ich arbeite – wie gerne würde ich dazu ja sagen!?

 

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