Du kennst mich nicht, aber Du warst in mir drin!

An dieser Schlagzeile bin ich kürzlich hängen geblieben – irgendetwas stimmt doch an diesem Satz nicht…..! So bin ich auf ein reales Ereignis gestossen, dass es eigentlich in der Realität gar nicht geben dürfte!

Es wäre wünschenswert, dass Du, die/der Du das jetzt liest, die Geschichte bereits kennst – jeder sollte davon gehört haben! Junger, weisser Mann, erfolgreicher Sportler, Stanford Student vergewaltigt eine junge, ebenfalls weisse und infolge Komasaufens bewusstlose Frau. Er wird erwischt und letztlich sogar verurteilt. Es ist schlimm genug, dass solche Dinge passieren, noch schlimmer ist, wie unsere Gesellschaft damit umgeht und schlichtweg skandalös und absolut inakzeptabel sind der Umgang mit der Situation und das Gebaren des Angeklagten, dessen Vater und Verteidiger und schliesslich vor allem die unverschämt milde Strafe! Zum ersten Mal empfinde ich es als sinnvoll, dieses amerikanische System, das Sexualverbrecher in einem öffentlichen und für jeden zugänglichen Register festhält (und letztlich so manchen Sexualverbrecher zum Opfer von Selbstjustiz besorgter Bürger werden lässt – dies befürworte ich hingegen nicht) – lebenslang gebrandmarkt ist in diesem Fall wenigstens etwas!

Offenbar war es dem Opfer erlaubt, nach der Urteilsverkündung eine Erklärung abzugeben. Diese Erklärung sollte Pflichtstoff werden an sämtlichen Schulen, jeder sollte diese gelesen haben!!! Sie zeigt gut verständlich und halbwegs nachvollziehbar, was in einem Vergewaltigungsopfer vorgeht und welchen Kampf diese Opfer gezwungen werden zu führen und dürfte damit helfen, das unbedingt notwendige Umdenken unserer Gesellschaft endlich voranzutreiben (wenn wir unsere Jugend eben entsprechend lehren).

Deshalb lies das, wenn Du es noch nicht getan hast!! (Und ja, dies ist ein Befehl)

Die Erklärung im Original:

https://www.buzzfeed.com/katiejmbaker/heres-the-powerful-letter-the-stanford-victim-read-to-her-ra?utm_term=.pakdzVQbv#.uxjy8WGMV

oder in deutscher Übersetzung:

https://www.buzzfeed.com/katiejmbaker/hier-ist-der-bewegende-brief-den-die-in-stanford-missbraucht?utm_term=.yb0zbAGve#.slJNzeKVn

 

 

Was wohl in den Tätern dieses Falles vorgegangen ist, während sie dieser Erklärung lauschen mussten? Haben sie überhaupt zugehört oder feige „auf Durchzug“ gestellt? Haben sie sich gewunden und unwohl gefühlt während dieses langen Monologs? Hatten sie wenigstens den Anstand, sich zu schämen? Sind sie sich insgeheim ihrer Schuld bewusst und gestehen sich diese wenigstens sich selber gegenüber ein? Vermutlich nicht!

Das Schreiben des Vaters an den Richter zeigt ziemlich deutlich, dass er die Schuld allein dem Opfer gibt, nicht seinem Sohn, der nun gezeichnet ist für sein Leben (der arme Kerl!) und schon gar nicht seiner Erziehung. Der Sohn, der so hart gekämpft hat für seine Träume, die nun alle zunichte gemacht wurden, der nun keinen Appetit mehr hat und seine Lebensfreude verloren hat – wenn das mal nicht genug Strafe ist für 20min Action. Was muss die Frau auch so ein Theater machen wegen eines kleinen unbedachten einmaligen Fehlers in unzurechnungsfähigem Zustand!

Was mag in Turners Anwalt vorgegangen sein? Jeder hat ein Anrecht auf die beste Verteidigung (auch wenn das manchmal wirklich schade ist), doch würde jeder Anwalt dies zu erreichen versuchen, indem er das Opfer diskreditiert und versucht, aus dem Opfer einen Täter zu machen? Ist ein solches Vorgehen wirklich akzeptabel und gerechtfertigt mit dem Wohl des eigenen Mandanten? Ich habe da so meine Mühe damit. Diese (amerikanischen) Verteidigungsstrategien sind schlichtweg unter aller Sau und menschenunwürdig! Mag sein, dass dies zu subjektiv ist, mag sein, dass ich es anders empfinden würde, wenn der Opferanwalt den Täter ebenso behandelt hat, doch grundsätzlich versuche ich dem Prinzip des Anstands und des gegenseitigen Respekts zu folgen. Daher bin ich überzeugt, dass auch eine gute Verteidigung möglich wäre, wenn sie auf diesen Grundsätzen aufgebaut wäre.

Und schliesslich die Frage, was im Richter vorgegangen ist, der dieses unerklärlich milde Urteil gesprochen hat? Hatte er am Ende ein schlechtes Gewissen? Hat er realisiert, dass er sich zu einseitig hat beeinflussen lassen? Oder hat auch er sich über das Opfer und ihre Rede geärgert und diese als nicht zu rechtfertigende Frechheit empfunden? Nebenbei, seine Rechtfertigung für die milde Strafe basiert offenbar auf dem Schreiben einer Freundin des Täters – was tut es denn zur Sache, dass der Täter nicht das sprichwörtliche Monster ist? Wenn ein Mensch einen Mord begeht, lassen wir ihn dann mit einer Bewährungsstrafe davonkommen, weil er von seinen Freunden geliebt wird? Zudem gibt es bei Totschlag oder Mord manchmal Umstände, bei denen man die Tat verstehen kann (wenn bspw. ein Vergewaltigungsopfer seinen Peiniger umbringt, nachdem dieser straffrei davongekommen ist….) – ich wüsste nicht, dass man das bei Vergewaltigung auch sagen könnte, hierfür gibt es nach meinem Ermessen schlichtweg nie einen Grund und somit auch keine mildernden Umstände!

Sie alle sind an den Pranger zu stellen: Brock Turner, Dan Turner, der Anwalt und Aaron Persky! Sie alle sollten lebenslang als Vergewaltiger registriert werden, für jeden zugänglich. Der eine hat’s getan (dazu gibt es ein Urteil), die anderen haben im übertragenen Sinne nachgedoppelt – das ist die Sichtweise und das Empfinden, welche in unserer Gesellschaft verbreitet und in den von ihr gesetzten Regeln zum Ausdruck kommen sollten!

 

Ich bin überrascht, wie fair und verhältnismässig rational diese Erklärung abgefasst ist. Das ist kein selbstbemitleidendes Gejammer, keine Aneinanderreihung von trotzigen Anklagen (obwohl beides verständlich wäre) und davor ziehe ich den Hut! Sie ist lang, sehr, sehr, sehr lang, die Wiederholungen beinahe unerträglich – ein Versuch, dem Angeklagten zu vermitteln, dass er nicht für zu viel Alkoholkonsum schuldig gesprochen wurde sondern für Vergewaltigung. Es fällt schwer nachzuvollziehen, dass er, dass irgendjemand noch immer nicht begreift! Doch genau davon muss man ausgehen, wenn man das Verhalten dieser Täter betrachtet, wenn man deren Reaktionen (auf das Urteil) liest und schlimmer noch, wenn man die Kommentare zu den diversen Artikeln liest, welche momentan in diesem Zusammenhang in den Medien erscheinen! („Gut verständlich“ (meine Beschreibung der Erklärung des Opfers) trifft es damit wohl doch nicht so ganz…..) Vermeintlich ganz normale Menschen, zumindest keine von der Geschichte entlarvten Diktatoren oder von Psychiatern diagnostizierte Soziopathen hinterfragen das Opfer, stellen sich mehr oder weniger deutlich auf die Seite des Vaters und/oder des Täters, verharmlosen die Tat!! Wenn man bedenkt, dass jede 5. Frau einmal in ihrem Leben Opfer eines sexuellen Übergriffs wird, überraschen diese Reaktionen, dieses Denken allerdings nicht mehr. Irgendwer muss diese Übergriffe ja begehen. Jede 5. Frau!!! Und die (deutsche) Justiz bringt es sogar fertig, ein Vergewaltigungsopfer letztlich als Täterin anzuklagen! Was für ein Spiegel unserer Gesellschaft!!!

 
Wenn das Opfer zu einer Rekordbusse von €24’000 verurteilt wird….:

http://www.stern.de/lifestyle/leute/gina-lisa-lohfink–chronik-einer-angekuendigten-schaendung-6888744.html

 

Oder wenn die Elternliebe als Rechtfertigung angeführt wird….:

Einer der Kommentatoren meinte lapidar, dass es doch normal sei, dass Eltern ihren Kindern beistehen würden und man dem Vater keinen Vorwurf machen könne – natürlich sollen Eltern ihren Kindern beistehen! Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Frage ist doch aber wie! Darf man es als Elternliebe abtun, wenn sie den Sohn darin bestärken, er hätte nichts Falsches getan, er sei das Opfer, das in jugendlichem Leichtsinn einen Fehler begangen hat, wenn dieser eine Frau vergewaltigt hat? Gehört nicht zu einer guten Erziehung, seinen Sprösslingen beizubringen, was richtig und was falsch ist und dass man die Verantwortung übernehmen muss, wenn man einen Fehler gemacht hat? (Wir wollen nicht vergessen, dass die Schuld des Täters in diesem Fall bewiesen wurde, das war kein Indizienfall!)

Und immer wieder die Mitschuld des Opfers…..:

In einem weiteren Kommentar (stellvertretend für viele, die in diese Richtung zielen) wurde doch tatsächlich gefragt, ob die Komasauferei des Opfers, die schliesslich zu dessen Bewusstlosigkeit führte, nicht als Beihilfe eingestuft werden müsse??! Was um alles in der Welt ist denn das für eine verdrehte Denkweise? Sex ist nun einmal nur „legal“, wenn er in beiderseitigem Einverständnis stattfindet und wie bitte schön soll eine bewusstlose Person ihr Einverständnis kundtun? So einfach ist das! Da gibt es kein Meinen oder Interpretieren, ohne ein klares Ja läuft nichts, punkt! Wer etwas Anderes behauptet, hat’s noch immer nicht verstanden.

Quelle: Youtube

Es war nirgendwo Thema und bei der ausführlichen Standardprozedur an Untersuchungen, die (in den USA) nach einer Vergewaltigung durchgeführt wird, darf man wohl davon ausgehen, dass das Blut des Opfers auch auf K.O.-Tropfen untersucht worden ist und das Resultat negativ war. Doch hat uns unser kleiner Schweizer Politfall (wenn ich mich korrekt erinnere, ging es um eine grüne Politikerin und einen SVP-Mann, beide aus dem Kanton Zug) gelehrt, dass K.O.-Tropfen nicht allzu lange im Blut nachgewiesen werden können. Wer weiss also, wie stark selbstverschuldet die Bewusstlosigkeit und das Blackout des Opfers wirklich waren? Allein unser Wissen, dass diese missbräuchliche Verwendung von „medizinischen Hilfsmitteln“ in diesem Zusammenhang vorkommen kann, sollte uns demütige Zurückhaltung üben lassen mit solchen „Beihilfsbeschuldigungen“!

Wenn das Opfer nicht „mit dabei“ ist

Ich habe vor einiger Zeit einen Bericht über Vergewaltigungsopfer nach Verabreichung von K.O.-Tropfen gesehen und zusammen nun mit der Erklärung des Brock Turner-Opfers fühlt es sich an, als würden mir die Fingernägel ge- und gleichzeitig die Haut abgezogen, beim Versuch nachzuempfinden, wie es sein muss, wenn man im Geiste absolut keine Erinnerung an ein schlimmes Erlebnis hat, wenn sich nur der Körper daran erinnert. Wir sind es nicht gewohnt, etwas ohne Verstand zu erfassen. Nun auf brutalste Weise zu lernen, die Signale des Körpers zu verstehen, muss alles noch viel schlimmer und schwieriger machen! Versucht das einmal nachzuempfinden! Gerade der Umstand der Bewusstlosigkeit des Opfers müsste eigentlich dazu führen, dass die Strafe höher als im Durchschnitt ausfällt. Denn die Qual des Opfers ist dadurch massiv grösser, die Verarbeitung und damit die Heilung werden merklich erschwert! Muss ich das hier wirklich erwähnen? Offenbar schon, konnte ich nämlich bei den Kommentaren auch die Frage lesen, wie denn ein Richter etwas bestrafen solle, an das sich das Opfer gar nicht erinnern könne – ganz nach dem Motto, was du nicht weisst, macht dich doch auch nicht heiss? Stell Dir mal vor, Du wachst auf und hast einen zerschundenen Körper und keine Ahnung, warum! Ups, da wird mich wohl gestern jemand verprügelt haben, doch was soll’s, war ja quasi nicht mit dabei….!

Ganz zu schweigen davon, dass dieser Umstand den Täter auch nach der Tat, insbesondere beim Prozess, wiederum in eine Machtposition bringt. Bei einer Vergewaltigung geht es nicht wirklich um Sex, es geht um Machtausübung, und es kann nur als unerhörter Affront empfunden werden, dass das Machtverhältnis zwischen Täter und Opfer über die Tat hinaus bestehen bleibt! „Well, we’ll let Brock fill it in“ …… (Zitat aus der Erklärung des Opfers)

 

Aus den Kommentaren zu genanntem Artikel geht auch hervor, dass sich einige Männer offenbar angegriffen gefühlt haben, von wegen, man würde ihnen unterstellen, weil sie Männer seien, könnten sie sich nicht in das Opfer hineinfühlen und deren Qualen nicht nachvollziehen. Dazu möchte ich anfügen: ich bin eine Frau, eine nicht vergewaltigte Frau und ich konnte es nicht! Bzw. ich kann es vermutlich immer noch nicht wirklich. Die Erklärung des Opfers geht durch Mark und Bein und vermittelt ein ungefähres Bild des Gefühlszustands eines solchen Opfers, aber ich bin sicher, das wahre Ausmass eines solchen Erlebnisses können wir alle, die wir so etwas – zum Glück! – nie erleben mussten, nicht wirklich nachvollziehen, nicht nacherleben oder uns nicht hineinfühlen! Gerade deshalb müsste es eigentlich an den Opfern sein, das gesetzliche Strafmass für derartige Verbrechen im Grundsatz festzulegen (und nicht am Gesetzgeber, sprich den Volksvertretern, die sowieso noch nicht verstanden haben, was die genaue Bedeutung von Volksvertreter eigentlich meint). Auf jeden Fall müsste die Mindeststrafe für sexuelle Gewalttaten viel höher liegen, um ein reales Bild der Schwere dieser Straftat zu vermitteln und um der Tatsache gerecht zu werden, dass eine Vergewaltigung noch nicht vorbei ist, wenn sie vorbei ist. Nicht selten müssen sich Vergewaltigungsopfer immer wieder rechtfertigen, sich demütigen lassen und vor allem müssen sie die Tat immer und immer wieder durchleben, bei der Befragung, beim Prozess, aufgrund der Medien.

Vergewaltigung – ein Kavaliersdelikt!

Schon so oft habe ich mich geärgert über die verhängten Strafen im Zusammenhang mit Vergewaltigung. Denn dieser Fall ist wahrlich kein Einzelfall und scheint mir gerade in der Schweiz beinahe Normalzustand (auch ohne dass der Vater des Täters dem Richter einen Brief schreibt – unsere Richter kriegen das auch ganz alleine hin). Tatsächlich sitzt ein verurteilter Sexualverbrecher in den USA durchschnittlich 11j. Gemäss einer im TA (online-Artikel „Härtere Strafen für Sexualdelikte“ vom 13.10.2014) zitierten Studie liegen in der Schweiz die durchschnittlichen Strafen (für die Jahre 2000 bis 2009) für Vergewaltigung bei 1’179d, für sexuelle Nötigung gar nur bei 876d. Kein Wunder, wird eine Vergewaltigung als Kavaliersdelikt wahrgenommen.

Da wird einem immer vermittelt, dass die Unversehrtheit von Leib und Leben in unserer Gesellschaft so einen hohen Stellenwert hat! Wie kann es dann sein, dass eine Körperverletzung in Verbindung mit einer lebenslänglichen seelischen Verletzung, ein solch tiefer Einschnitt in ein Leben, der vielleicht nicht immer mit Vorsatz (im gesetzgeberischen Sinn), aber doch immer mit menschenverachtender Brutalität und Machtausübung einhergeht, dass ein derartiges Verbrechen so milde und schwach geahndet wird? Weil das Opfer selbst Schuld ist!

Ich glaube….ich muss daran glauben, dass die überwiegende Mehrheit unserer Gesellschaft nicht bewusst so denkt, doch sind wir ganz, ganz tief geprägt von einem uralten Denken: „Bis vor wenigen Jahren galt eine vergewaltigte Frau als „geschändet“, also mit Schande behaftet. Der Makel der Tat wurde auf das Opfer übertragen, das fortan als „beschmutzt“ galt, als im Wert geminderte, beschädigte Ware, als „Schande“.“ (Zitat Stern-online-Artikel „Die Chronik einer Schändung“ vom 8.06.2016) Auf dem Papier mag das heute nicht mehr gelten, unser Denken und Empfinden sind aber nach wie vor davon beeinflusst. So ist es eine Tatsache, dass sich die meisten Vergewaltigungsopfer schämen und sich nicht selten selber die Schuld geben dafür, dass sie vergewaltigt wurden. Und genauso tun es alle anderen auch….!

 

Noch heute wird den Frauen vermittelt, dass sie sich nicht zu freizügig kleiden sollen, weil sie ansonsten Gefahr laufen könnten, einen Mann zu sehr zu reizen. Noch heute wird einer Frau ihr Verhalten zur Last gelegt, wenn sie bspw. mit ihrem späteren Peiniger geflirtet oder ihn „angemacht“ hat. Der arme Mann, der so triebgesteuert ist, dass er sich nicht beherrschen kann – wollt Ihr wirklich, dass man ein solches Bild von Euch hat? Und die Frau, sie ist die böse Verführerin, die angeklagte Eva, die die Menschheit aus dem Paradies geworfen hat – wieso gibt eigentlich niemand Adam die Schuld dafür, dass er zu schwach war zu widerstehen? Wieso gilt Verführung als Verbrechen oder zumindest als Entschuldigung für ein solches? Weil Männer nicht damit umgehen können, dass sie dagegen nicht ankommen, ausgenommen mit brachialer Gewalt? Oder entstammt das auch wieder so einem mittelalterlichen Kirchendogma, wonach der Mensch, das einfache Volk kein Genuss, kein Hochgefühl, keine Freude kennen darf (sie könnten ja ansonsten nicht mehr gehorchen)? Was tun die sexuellen Reize und die Verführungskünste eines Opfers überhaupt zur Sache, wo es doch eigentlich um Machtdemonstration geht?

Ich bin mir bewusst, dass es auch männliche Vergewaltigungsopfer gibt, sie sind allerdings stark in der Minderheit. Zudem gehe ich davon aus, dass auch diese meist Opfer von männlichen Tätern sind, allein aufgrund der Tatsache, dass es für eine Frau aus physischen Gründen recht schwierig ist, einen Mann zu vergewaltigen. Doch selbst das kommt offenbar vor. Mit den Hintergründen solcher Taten habe ich mich jedoch zu wenig befasst, um mich an dieser Stelle dazu äussern zu können. So mögen die Motive und „Entschuldigungen“ von Täterinnen evt. anderswo liegen, die Konsequenzen für die Opfer bleiben jedoch immer die gleichen. Diese Anklage schliesst daher alle Täter mit ein, vor allem aber gilt sie der Gesellschaft!

 
Um den Bürgern klar zu machen, dass Autofahren in angetrunkenem Zustand kein Kavaliersdelikt ist, wurden die Promillegrenze herabgesetzt und die Strafen verschärft. Es wird Zeit, dass man diese Massnahmen auch bei sexueller Gewalt umsetzt! Denn nichts Anderes vermitteln diese milden Strafen, als dass die begangene Tat gar nicht so schlimm war – was für ein Hohn! Kommt dazu, dass es in vielen Fällen zu keiner Verurteilung kommt, weil oft die Beweise fehlen oder ungenügend sind und Aussage gegen Aussage steht. In dubio pro reo! Eigentlich ein Grundsatz, den ich unterstütze. Doch wenn man gegen Jahrhunderte überdauerte Einstellungen ankämpfen muss, wird es wahrscheinlich Zeit, diesen Grundsatz etwas anzupassen. Grad wo das Opfer oft zum Täter gemacht wird – sind wir doch zur Abwechslung im Zweifel auf der Seite des „Opfer-Täters“. Wieso nicht im Grundsatz lieber einen unschuldig verurteilten Vergewaltiger als ein ungesühntes Vergewaltigungsopfer? Natürlich würde auch das zu Ungerechtigkeiten führen. Natürlich würde das so manchem Racheengel ein Werkzeug in die Hand legen gegen den verhassten Ex-Partner oder den Angehimmelten, der einem verschmäht hat. Natürlich würde es das! So what? All die Opfer der vergangenen Jahrzehnte oder Jahrhunderte, die nicht zu ihrem Recht gekommen sind, die gedemütigt, ausgegrenzt, gequält oder gar noch bestraft wurden, haben wir ja auch hingenommen…. Und das Gesetz ist bekanntlich nicht gerecht, genau wie das Leben auch nicht und manchmal trifft es halt die Falschen, nur sollten es zukünftig für einmal die anderen Falschen sein….!

 

In dubio pro reo! Und damit geht der Oscar für die beste Hauptdarstellerin an…. Luana?

http://www.watson.ch/Schweiz/Best%20of%20watson/472999060-«Er-ist-unschuldig-»-–-wie-Luanas-Traum-von-der-Freiheit-vor-dem-Aargauer-Obergericht-jäh-platzte

 

Phnom Penh, KHM – Freude und Fassungslosigkeit, Emotionen pur und viel Geschichte

Phnom Penh ist eine schmutzige Stadt. Nicht im offensichtlichen Sinn (resp. nicht mehr als andere asiatische Städte auch), doch wenn man nach einem Tag in dieser Stadt zurück ins Hotel kommt und sich die Hände wäscht, wird das Wasser schwarz, richtig rabenschwarz. Das hat leider auch etwas schwierige Konsequenzen für meinen dezimierten Kleiderbestand… Könnte ein harter Monat werden! Abgesehen von dem Moment, in dem ich aus der Dusche steige, fühle ich mich eigentlich immer irgendwie schmutzig, denn selbst die frischgewaschenen Kleider wirken nicht sauber und die Hitze tut ihr übriges.

Kambodscha liegt ja bekanntlich zwischen Vietnam und Thailand, und so kommt es mir auch in etwa vor, ein Mix aus Vietnam und Thailand. Das macht auch Sinn, dieses Land war dermassen oft vom einen oder anderen Nachbarn (teilweise) besetzt, die Grenzen haben sich so oft verschoben, dass es überrascht, dass die französischen Hinterlassenschaften auch noch durchblitzen und die Kambodschaner überhaupt noch wissen, wer sie sind. 2 Dinge erinnern mich jedoch stark an Indien: die Tuk Tuks, die hier eine unglaubliche Dominanz haben. Zwar findet man diese in Thailand auch (in Vietnam nicht), aber Reisenden wird eher von deren „Gebrauch“ abgeraten, zudem ist die Stadt voll von Taxis. In Phnom Penh habe ich bis anhin gerade einmal ein einziges Taxi gesehen. Und die Bettler – heiliges Kanonenröhrchen, mit denen ist es hier echt arg, genau wie in Indien eben. Auch wenn ich mich wiederhole, Vietnam hat seine Bettler gut versorgt, aber hier wimmelt es nur so davon. Und ganz viele davon sind Kinder. Und noch mehr Kinder laufen den ganzen Tag mit ihren Kistchen herum und versuchen, irgendwelchen Ramsch an den Mann zu bringen und sie können zuweilen ganz schön aggressiv werden, wenn man ablehnt. Wer also Indien nicht aushält, sollte von einer Reise nach Kambodscha absehen.

Kambodscha ist so ein kaputtes Land. Die Armut kriecht aus allen Ritzen, sie ist einfach überbordend. Es ist mir ein Rätsel, wie die Kambodschaner einen König finanzieren können. Und haben mich bereits die Details zum Vietnam-Krieg bekümmert, bin ich hier schlichtweg fassungslos in Anbetracht der Geschichte dieses Landes der letzten 50 Jahre. Es ist ein Wunder, dass die Menschen hier überhaupt zu einem normalen Leben fähig sind, insbesondere die Menschen meines Alters oder älter müssten eigentlich alle einen kompletten Dachschaden haben. Solche Zeiten zu überleben und noch immer Mensch zu sein, erscheint mir beinahe übermenschlich.

Die Spitze des Eisberges sind natürlich die eigenen Landsleute, die Khmer Rouge. Dass man jedoch den kambodschanischen Uno-Sitz nach 1979 an Pol Pot vergeben hat, nur weil es den Amis nicht passte, dass die Vietnamesen in Kambodscha aufgeräumt haben, ist schlichtweg ein Verbrechen. Seinen verletzten Stolz – und soll mir keiner mit dem Argument des Zeitgeists des kalten Kriegs kommen, das ist nur eine billige Ausrede, letztlich geht es wie immer um Macht! – über derartige Greueltaten und Grausamkeiten zu stellen, ist nicht entschuldbar, einfach nicht. Und nach Vietnam, nur wenige Jahre später, einen erneuten Stellvertreterkrieg zu führen in Kambodscha, müsste man eigentlich als Dummheit (ich sag’s doch, nichts gelernt) bezeichnen. Doch mit Dummheit ist nur ein Teil, wenn überhaupt, begründbar, was es noch viel tragischer macht.

Wie die Europäer haben Vietnam, Kambodscha, Thailand und Myanmar über Jahrhunderte Kriege geführt, die Grenzen immer wieder neu definiert, Völker vertrieben oder unterjocht und um die Vormachtstellung in dieser Gegend gekämpft. Kambodscha könnte man wohl als den grossen Verlierer dieser Zeit bezeichnen. Wie Ungarn betrug seine Fläche einst ein Vielfaches der heutigen und darunter leidet der Stolz der Kambodschaner heute noch, wie mir scheint.  Im 19. Jh. kamen schliesslich die Kolonialherren aus Europa und diese Völker wurden komplett fremdbestimmt bis zur Unabhängigkeit irgendwann nach Ende des 2. Weltkriegs. Obwohl dem damaligen König Kambodschas die schweizer Neutralität als Vorbild vorschwebte (unter den erneut aufgeflammten Querelen zwischen Thailand und Vietnam), kam aber auch das unabhängige Kambodscha nicht zur Ruhe.  Die Bauern verehrten den König, die Mittelklasse in den Städten hielt ihn aber für zu schwach gegenüber der Korruption und war unzufrieden mit seiner „neutralen Haltung“ (oder dem entsprechenden Versuch) gegenüber Vietnam und Thailand. Er wurde 1970 weggeputscht von einer Regierung von Amerikas Gnaden. Schon vorher war das Land in den Vietnamkrieg hineingezogen worden, weil der Ho Chi Minh-Pfad des Vietcong durch Kambodscha führte und das Land daher ebenfalls von den Amerikanern bombardiert wurde (zuerst nach dem „“Ooops-Prinzip“: dumm gelaufen, war neben der Grenze, aber selbstverständlich nur ein Versehen; später unter der neuen Regierung offiziell und mit dem Segen der Regierung gegen finanzielle Unterstützung der Amerikaner). Das führte nicht nur zu vielen Toten und Verletzten, sondern auch zu einer Flucht der Landbevölkerung in die Städte und zum Anstieg der Armut. Die Khmer Rouge verbündeten sich damals mit dem König im Exil und liessen sich von Nordvietnam unterstützen und ausbilden, während das offizielle Kambodscha ein Bündnis mit den USA und Südvietnam einging. Man spricht vom ersten Bürgerkrieg. Nachdem sie die Vietcong nicht mehr brauchten, haben sich die Khmer Rouge von den Nordvietnamesen gelöst und diese aus Kambodscha vertrieben.

Als Phnom Penh im April 1975 von den Khmer Rouge eingenommen wurde, wurden diese frenetisch begrüsst. Man sah das Ende des Bürgerkriegs gekommen und feierte auch die Vertreibung der verhassten Vietnamesen und Amerikaner. Doch noch am selben Tag haben die Khmer Rouge mit der Umsetzung von Pol Pots Vision begonnen und angefangen, die Bevölkerung aus den Städten zu vertreiben. Nach 3d soll Phnom Penh vollkommen menschenleer gewesen sein – man muss sich das einmal vorstellen, eine Millionenstadt ist zur Geisterstadt geworden und ein ganzes Volk unterwegs durchs gesamte Land, hauptsächlich zu Fuss resp. spätestens, nachdem ihnen das Benzin ausgegangen war, alle, denn Tankstellen gab es keine mehr, genausowenig wie Schulen oder Krankenhäuser, Läden oder Dienstleistungsbetriebe – ein Bauernstaat braucht das nicht. Danach kamen die Hungersnot, die Vernichtung aller „Feinde“ und Pol Pots Paranoia.  In Choeung Ek (Killing Field) sprechen sie von 3 Mio. Toten, die Pol Pot geschuldet sind. Der Westen ist mit seinen Schätzungen etwas zurückhaltender, es dürften jedoch mehr als 1/4 der damaligen Bevölkerung gewesen sein und das in knapp 4j! Verstorben infolge Hunger, Krankheit, Folter oder Exekution. Exekutiert wurden die Feinde des Staates, dazu gehörten sämtliche Intellektuelle, insbesondere Lehrer (man bedenke, Pol Pot selber war einst Lehrer – erinnert ein wenig an Hitler und seine Arier, denen er selber ja absolut aus dem Gesicht geschnitten war), Angehörige der vorherigen Regierung inkl. sämtlicher Staatsangestellten, Krankenschwestern und Ärzte, Menschen, die Fremdsprachen beherrschten oder die aus anderen Gründen der Spionage für CIA oder KGB verdächtigt wurden, sowie natürlich alle, die bezichtigt wurden, gegen die Khmer Rouge zu sein. Die Vernichtung durch Hunger muss offenbar ebenfalls gewollt gewesen sein. Es sind Aussagen von Khmer Rouge-Kadern überliefert, wonach Kambodscha nur 1 Mio. Einwohner benötige (1975 hatte das Land 7 Mio. Einwohner).

Die Gesellschaft wurde zu einer klassenlosen Gesellschaft mit 3 Klassen: den Khmer Rouge als oberste Schicht, den Basisleuten – Bauern, die bereits vor April 1975 Bauern waren – und den ehemaligen Stadtmenschen, den „17. April-Menschen“, die aufs Land vertrieben worden waren und dort zuerst unter den Basisleuten später unter der Herrschaft der Soldaten (Khmer Rouge) am meisten zu leiden hatten. Es gab weder Post noch Telekommunikation geschweige denn TV oder Radio, die Dörfer waren vollkommen abgeschnitten vom Rest der Welt, des Landes, anderen Dörfern und Freundschaften gab es zumindest unter den 3.-Klassemenschen keine mehr. Wie eine Zeitzeugin so schön sagte: alle hatten ihre Geheimnisse und aus Angst, sich zu verplappern, hat man lieber erst gar nicht mit jemandem gesprochen. Auch waren Gespräche während der Arbeit nicht geduldet, man hatte zu arbeiten. Später wurden selbst die Kinder angehalten, ihre Eltern (auch Basisleute) zu bespitzeln und zu verraten – dies mit Hilfe von speziellen Kinder-Lagern, in denen die Kinder auf Angkar (=Organisation, die neue Regierung) gedrillt wurden – Gehirnwäsche pur. Besitz war absolut verboten, jeder hatte nicht mehr als seine „Uniform“, eine Essensschüssel und Besteck. Individualität wurde komplett ausgelöscht. Alle mussten die gleiche Kleidung und die gleiche Frisur tragen, die alten Kleider wurden verbrannt, genauso wie Bücher, weiterer Besitz musste an den Angkar abgegeben werden (und verschwand entweder bei den Basisleuten, den Soldaten oder wurde zum Kauf von Waffen verwendet). Das Geld wurde abgeschafft und Tauschhandel war verboten.

Ganz Kommunismus gehörte alles allen und keiner durfte sich – theoretisch – etwas herausnehmen. Wer dabei erwischt wurde, etwas Anderes zu essen als die zugeteilten Essensrationen (oft nur eine Schüssel dünne Reissuppe pro Tag), wurde schwer bestraft. In Wahrheit wurden die Agrarerzeugnisse benötigt, um Kredite an China zurückzuzahlen und insbesondere Waffen zu kaufen, für einen Krieg gegen Vietnam und Thailand, den die Khmer Rouge immer wieder provozierten, mit dem Ziel, ehemals kambodschanische Gebiete zurückzuerobern (was ihnen letztlich zum Verhängnis wurde). Zusammen mit Misswirtschaft und Missernten der Hautpgrund für die Hungersnöte der Bevölkerung. Was für eine Folter muss es sein, den ganzen Tag als Bauer zu schuften und Nahrung zu ziehen, ganze Reis- oder Maisfelder vor der Nase zu haben, während man dabei ist zu verhungern.

Da die Khmer Rouge immer wieder vietnamesische Dörfer angegriffen und geplündert und gemordet haben, sind die Vietnamesen schliesslich im Januar 1979 in Kambodscha einmarschiert und haben die Khmer Rouge (in die Dschungel) vertrieben.  Das Elend für die Bevölkerung war damit aber noch lange nicht vorbei.  Pol Pots Terror war zwar eliminiert, Armut und Hunger jedoch blieben. Und die Kriege gingen weiter. Es folgten ein zweiter und ein dritter Bürgerkrieg – eigentliche Stellvertreterkriege zwischen USA, UdSSR und China. Erst ab dem Jahr 1998 begann sich langsam, eine Normalität zu etablieren. Es ist auch das Todesjahr Pol Pots, der zwar Jahre zuvor in Abwesenheit verurteilt worden war, doch bis zuletzt in Freiheit gelebt hat. Seine genauen Todesumstände sind unklar. Weitere Angkar-Führer sind seit 2007 in Haft und stehen heute vor Gericht. Gerade einmal einer ist geständig und hat seine Verantwortung anerkannt.

Beim Lesen über Kambodscha fühlte ich mich oft an Nordkorea erinnert. So viele „Bilder“ stimmen mit dem Wenigen überein, was ich über Nordkorea weiss oder davon gesehen habe. Und ich frage mich, ob wohl wiederum vor den Augen der gesamten Welt das Gleiche abgeht und niemand es bemerkt (nun ja „niemand es bemerkt“ ist vermutlich nicht ganz korrekt formuliert!). Die Mordmaschinerie in Nordkorea kann allerdings nicht ganz so effzient wie diejenige der Khmer Rouge sein, ansonsten würden in Nordkorea längst keine Menschen mehr leben.  Auch war Pol Pot wohl nicht ganz so dekadent wie der gute Kim Sowieso, er war den Kambodschanern noch nicht einmal bekannt während seiner Herrschaft (aus Angst vor Anschlägen ist er nie in Erscheinung getreten, das Land wurde offziell von Angkar regiert). Oder vielleicht sollte man es anders formulieren. Ohne die Vietnamesen wäre Kambodscha heute vielleicht ein zweites Nordkorea. Nach so vielen Jahren der gleichen Diktatur ist es vermutlich nicht mehr notwendig, Massen an „Staatsfeinden“ zu eliminieren, die Menschen sind nun getrimmt und parieren, das Staatsoberhaupt muss sich nicht mehr verstecken.

Ich hatte hier wohl den emotionalsten Start in einem Land seit ich losgezogen bin, die Welt zu sehen. Angekommen am Abend des 30. Dezember 2015 hatte ich zuerst kein sonderlich gutes Gefühl zu diesem Phnom Penh. Der Bus hielt an, wir sind ausgestiegen und hatten natürlich keinen Plan, wo wir waren. Auch wurden wir zugleich von Tuk Tuk-Fahrern belagert, der Kampf hatte also schon begonnen. Dann wollte ich mir Geld besorgen und bin völlig überfordert mit einer 100-Dollar-Note zurückgekommen, irritiert, dass der ATM in Kambodscha Dollars ausspukt und vor allem entsetzt über diese grosse Note. Ich weiss nicht, wie es heute ist, aber früher bist du in den Staaten kaum eine 20-Dollar-Note losgeworden – ich wusste nicht einmal, dass es Noten über 100 Dollar gibt! Und hier, wo alles nichts kostet, wie sollte ich da mit so einer Note bezahlen? Die Banken hatten bereits geschlossen, wechseln war also auch nicht. Zum Glück war ich nicht allein. Man hatte im Bus eine Chilenin neben mich gesetzt und wir haben uns von Beginn weg gut verstanden und sind dann auch gemeinsam weiter gezogen. (Das Dollar-Problem hat sich letztlich einfach gelöst, als ich im Hotel aufgefordert wurde, meinen Aufenthalt gleich im Voraus zu bezahlen. Mit Freuden habe ich dem Receptionisten dabei meine 100-Dollar-Note in die Hand gedrückt ?.)

Am nächsten Tag habe ich zuerst einmal ausgiebig ausgeschlafen, am Nachmittag die nähere Umgebung meines Hotels etwas erkundet, mich mit dem Jahreswechsel befasst und es auf jeden Fall einfach gemütlich genommen. Am Abend habe ich meine neue Freundin wieder getroffen und wir haben uns ein richtig gutes Essen genehmigt. Anschliessend – es war bereits nach 23 Uhr – haben wir uns aufgemacht zum „Pendant der Zürcher Silvesterparty“. Sie haben hier zwar keinen See, aber mehrere Flüsse. Etwas weg vom Fluss gibt es einen Park. Hier war eine riesige Bühne aufgestellt auf der geredet, gesungen und Musik gespielt wurde. Verstanden haben wir natürlich nichts, aber es war Feststimmung – und das alles bei sommerlichen Temperaturen! Die Musik war ein Gemisch bzw. eine Abfolge von Rap, Lambada, kambodschanischem Pop und zuletzt klang es schwer nach Folklore. Wir haben kaum andere Touristen gesehen und die Kambodschaner schienen auch äusserst belustigt über die zwei weissen Frauen, die sich da unter ihnen tummelten. Es gab ebenfalls ein Feuerwerk am Fluss. Davon haben wir hinter den Häusern jedoch nicht so viel gesehen. Es dauerte allerdings im besten Fall auch nur 5min. Zwischen 0.30 und 1.00 Uhr war dann bereits Schluss, was daran liegen mag, dass der 1. Januar hier lange nicht für alle ein freier Tag ist. Und so machten wir uns auf den Weg Richtung unsere Hotels oder wir versuchten es zumindest. Verkehrsmässig ist diese Stadt meist unglaublich „friedlich“. Trotz Unmengen von Tuk Tuks und Mopeds sind die Strassen nur selten verstopft. Man kann diese eigentlich immer problemlos überqueren. Die Ausnahme bestätigt die Regel und so eine Ausnahme ergab sich anschliessend an die Silvesterparty. Es ging gar nichts mehr, Verkehrschaos pur und wir als Fussgänger mittendrin. Die Asiaten sind ja Meister darin, immer noch einen Spalt, eine kleine Lücke zu finden, wo sie sich mit ihrem Tuk Tuk oder Moped durchzwängen können und genauso haben wir es auch gemacht. Wir haben uns durch einen riesen Pulk an Mopeds und Tuk Tuks durchgeschlängelt als wären es Menschen und keine fahrenden Vehikel. Es war ein riesen Spass! So etwas wäre zu Hause schlichtweg nicht möglich, jedenfalls nicht auf diese Art, weil die Motorisierten bei uns jeweils alle in die gleiche Richtung fahren. Aber hier gibt es keine Regeln, die standen alle kreuz und quer, wodurch sich die Lücken für uns ergeben haben. Man stelle sich einen 6-spurigen Highway in der Rushhour vor und mitten drin Fussgänger, die auch noch „mitspielen“ und das Chaos noch etwas grösser machen. Ich habe mich wirklich köstlich amüsiert!!! Angekommen beim Fluss war der Weg für die Fussgänger schliesslich frei und wir kamen flott vorwärts. Haben uns in der Nähe unserer Hotels noch einen Drink und eine Pizza genehmigt und sind so gegen 3 Uhr schliesslich ins Hotel. Wider erwarten war es ein wirklich gelungener Jahreswechsel! Komplett aufgedreht war natürlich noch nichts mit Schlafen. Und so wurde es eine kurze Nacht, denn bereits um 10 Uhr hiess es wieder aufstehen. Wir wollten uns die Killing Fields und den Königspalast ansehen.

Leider haben wir es dann doch etwas zu gemütlich genommen oder den Zeitbedarf des Killing Field-Museums unterschätzt. Ich oder wir hatten auch nicht wirklich eine Ahnung, was uns da erwartet. Ich dachte, das sei einfach eine grüne Wiese und ein Museumsgebäude. Ein riesiger grüner Park trifft es eher, den man mit einem Audioguide abschreitet. Und es gibt viel zu hören, denn es wird einem die ganze „Geschichte“ der Khmer Rouge erzählt. Man hat bis anhin 300 solcher Killing Fields im ganzen Land gefunden. Das grösste ist das Choeung Ek, das heute eine Gedenkstätte und ein Museum ist. 450’000 Leichen hat man hier geborgen. Entdeckt wurden sie, weil der Boden durch die Verwesungsgase aufgebrochen ist. Bis heute bringt die Regenzeit noch Kleidungsfetzen und Gebeine an die Oberfläche, die regelmässig eingesammelt werden, im Aufbewahrungsort jedoch keinen Platz mehr finden. Zu Beginn der Khmer Rouge-Zeit kamen etwa 3x/Monat Lastwagen, die ihre lebende Fracht abgeliefert haben, zum Schluss kamen sie täglich und die Soldaten kamen nicht mehr nach mit dem Töten, so dass die Gefangenen Stunden in Baracken ausharren mussten, dies bei kommunistischen Gesängen aus Lautsprechern, die die Schreie übertönen sollten. Erschiessungen waren Pol Pot zu teuer (Munition kostet). Die Tötungsinstrumente sind ausgestellt – nicht unbedingt die üblichen Hilfsmittel, wie man sie kennt und einfach nur unglaublich grausam. Man weiss auch, dass lange nicht alle tot waren, als sie in der ausgehobenen Grube lagen. Zu Beginn wurde deshalb ein Gift auf die Körper verteilt. Im Laufe der Zeit ist das jedoch ebenfalls ausgegangen. Meist wurde die gesamte Familie eines „Dissidenten“ exekutiert, unabhängig vom Alter, um die „schlechte Saat“ komplett auszumerzen. Etwas vom Schlimmsten ist denn auch der „Killing Tree“, an welchem Babies zerschmettert wurden. Man stelle sich vor, wie ein nichtsahnender Mensch an diesen Baum kommt, dessen Stamm voller Blut ist und noch etwas Anderem (das sich als Gehirnmasse herausgestellt hat – ich gehe jedoch davon aus, dass ein nicht-Mediziner dies nicht erkannt hat) und sich fragt, woher das kommt und wie unglaublich der Schock gewesen sein muss, als klar wurde, wie sich das ergeben hat.

Ich könnte Euch noch so viel mehr erzählen. 4 Jahre Pol Pot beinhalten derart viele grausame Details, sie könnten ein ganzes Buch füllen (resp. tun sie auch). Er stellt Vorgänger wie Hitler oder Stalin in den Schatten und seine Effizienz vermutlich alles, was bis heute dagewesen ist (vielleicht abgesehen von Atombomben). Was meinen Verstand in solchen Fällen immer wieder übersteigt, ist die Frage, wie Menschen derart grausam sein können. Und damit meine ich nicht Pol Pot, denn er war letztlich nicht der Ausführende, „nur“ der Auftrageber (mit definitiv einer absoluten Fehlfunktion im Gehirn). Menschen zu exekutieren ist das Eine, es jedoch auf derart grausame Art und Weise zu tun, noch einmal etwas Anderes. Menschen massenhaft (dafür braucht es zig Folterknechte) zu foltern oder zuzuschauen, wie sie verhungern, muss doch einen ungemeinen Hass auf die Opfer beinhalten. Diese Ausführenden hatten mit Sicherheit nicht alle einen Knall. Viele hatten selber Angst, das erklärt mir aber noch immer nicht die brutale und grausame Vorgehensweise. Viele der Soldaten waren zudem im Kindes- oder Jugendalter und bereits seit jungen Jahren (Kriegswaisen) auf die Khmer Rouge gedrillt – womöglich hielten sie das alles für normal, weil sie es nie anders kannten? Wäre jeder von uns zu solchen Grausamkeiten fähig, wenn nur die Umstände entsprechend wären?

Was alle diese Diktatoren gemeinsam zu haben scheinen, ist die penible „Buchführung“, die ihnen letztlich nicht selten zum Verhängnis wird. Das Tuol Sleng – S21-Gefängnis wird diesbezüglich mit Ausschwitz verglichen. Sämtliche ankommenden Gefangenen wurden ausführlich registriert (die „Verbrecher-Fotos“, wie wir sie aus amerikanischen Filmen kennen, sind heute ausgestellt), sämtliche Verhöre protokolliert, obwohl diese eigentlich eine reine Farce waren. Das einzige Ziel war, Pol Pots Begründung, weshalb sein Plan nicht funktionierte, zu bestätigen. All diese Akten sind noch vorhanden, die Khmer Rouge hatten keine Zeit mehr, sie zu vernichten. Eine minimale Genugtuung für die Betroffenen, nachdem zuerst (Ende der 70er-Jahre bis längstens 1984) behauptet wurde, die gemeldeten Grausamkeiten seien nicht wahr und vollkommen übertrieben.

Der anschliessende Besuch des Palasts war aus meiner Sicht eher ein Reinfall. Einerseits war die Zeit etwas knapp, andererseits kann man gar nicht so viel besichtigen, weil das Ding noch bewohnt ist. Und das Timing war vermutlich auch nicht so ideal. Nach den Killing Fields ein derartiger Prunk verträgt sich nicht sonderlich gut. Unser Guide hat denn auch viel lieber über Beatocello gesprochen als über den König. Offensichtlich hält er von dem nicht sonderlich viel. Etwas, was sich in der Zwischenzeit bestätigte oder wiederholte. Die (gebildeteren) Kambodschaner haben weder von ihrem König noch von ihrer Regierung eine hohe Meinung. Sie sind auch überzeugt, dass bei den Wahlen getrickst wird, was mich nicht wirklich überraschen würde. Wo kommt das schon nicht vor?

Interessant fand ich jedoch, dass ein Palastangestellter derart offen über seine Antipathien spricht. In Thailand könnte es „brenzlig“ werden, wenn man etwas gegen den König sagt. Somit scheint hier doch eine gewisse Art „Redefreiheit“ vorhanden zu sein. Womöglich ja ein guter Anfang….